Mein kulturelles Missverständnis auf katalanisch

Veröffentlicht auf von Jessica Haß

Als ich im Sommer auf dem Rückweg von Sevilla in einem Air Berlin Flugzeug saß, las ich aus lauter Langeweile einen Artikel von Joachim Hunold, CEO von Air Berlin, in der Airline-eigenen Zeitschrift. Der Titel lautete "Das kommt mir Spanisch vor!" und war im Grunde nichts weiter als das wütende Luftablassen Hunolds über den Brief einer Abteilungsleiterin der balearischen Landesregierung. In besagtem Schreiben hatte die balearische Regierung sich eine adäquate Kommunikation der Airline gegenüber den Bürgern der Inseln Mallorca, Menorca und Ibiza erbeten. Adäquat heißt: Katalanisch. Denn die wichtigste Sprache auf Mallorca (neben Deutsch ;-)) ist nicht etwa Spanisch, sondern Mallorquín, eine Abwandlung des Katalanischen. Und den Bürgern der Balearen sollte auf Flügen in korrekter Weise die Verwendung ihrer Landessprache garantiert werden.
In seinem Artikel echauffiert sich Hunold über diese Bitte. Er bezeichnet die "von regionalen Nationalisten in weiten Teilen Spaniens angestrebte Autonomie" als "Rückfall in mittelalterliche Kleinstaaterei". Gerade Mallorca habe von der EU profitiert wie kaum eine andere Region, was mit einem katalanischen Alleingang nicht möglich gewesen wäre. Er habe bisher geglaubt, in einem Europa ohne Grenzen zu leben, in dem zwar jeder seine kulturellen Eigenheiten pflegen dürfe, in dem jedoch das Verbindende und nicht das Trennende im Vordergrund stünde.
Als ich den Artikel las, war mein erstes "deutsches" Bauchgefühl Zustimmung. Uns Deutschen erscheint der Regionalisierungskult in den spanischen Regionen oftmals übertrieben.
Jetzt, nachdem ich bereits angefangen habe, mich eingehender mit der spanischen Kultur auseinanderzusetzen, sehe ich es etwas differenzierter. Zunächst hatte ich die Diskussion nicht weiter verfolgt. Monate nach meinem besagten Flug habe ich jetzt im Netz einen Archivartikel von Spiegel Online vom Juni dieses Jahres entdeckt:

http://www.spiegel.de/reise/aktuell/0,1518,558688,00.html

Offenbar hat der mallorquinische Regionalpolitiker Joán Puig Cordón die Airline nach Erscheinen von Hunolds Artikel als "Air Goebbels" tituliert und gefordert, das Unternehmen müsse sich für die Beleidigung der katalinischen Sprache entschuldigen. Air Berlin indes dachte natürlich nicht daran, sich zu entschuldigen, sondern leitete rechtliche Schritte ein. Und das, obwohl Hunold in der Tat in seinem Artikel geschrieben hatte: "Die einst so wohlklingende Playa de Palma heißt jetzt Platja de Palma. Was Platscha de Palma ausgesprochen wird, ziemlich gewöhnungsbedürftig ist und nicht eben an die Sprache eines Weltreichs erinnert."
Interessant zu sehen, wie heiß dieser Artikel von Deutschen und Deutsch-Katalanen (!) im Forum diskutiert wurde. Die Deutschen vergleichen Katalanisch mit deutschen Dialekten. Die Fluggäste auf Flügen nach Mallorca auf Katalanisch zu begrüßen, sei demnach genauso abwegig, wie wenn man auf Flügen nach Schleswig-Holstein Platt rede oder Bayerisch auf Flügen nach Süddeutschland. Die Forumsteilnehmer werfen sich reihenweise gegenseitig Nationalismus vor und einer verdächtigt den anderen der rechten Gesinnung.

Zusammengenommen haben wir hier ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch für interkulturelle Missverständnisse oder sagen wir besser: für interkulturelles Unverständnis.

Mögen uns Deutschen die Regionalisierungstendenzen in Katalonien und im Baskenland auch übertrieben erscheinen, so kommen sie nicht von ungefähr. Jahrhundertelang wurden die spanischen Peripherien vom kastilischen Zentrum unterjocht. Während der Franco-Diktatur erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt. Das wertvolle Erbe der baskischen, galicischen und katalonischen Kultur drohte aufgrund der franquistischen Verbote und massiven Unterdrückung völlig verloren zu gehen. Den Bestrebungen der regionalen Regierungen ist es letztlich zu verdanken, dass Sprache und Kultur wieder aufleben konnten und so erhalten bleiben. Die Unterdrückung durch das franquistische Zentrum hatte letztlich die Gründung von ETA im Baskenland zur Folge, genauso wie die Erstarkung des regionalen kulturellen Bewusstseins. Nach dem Übergang zur Demokratie gelang es den Beteiligten, einen Kompromiss zwischen Autonomie und Zusammenhalt zu bewirken. So erhielten die Regionen Autonomiestatus, eine eigene Regierung und die eigene Regionalsprache neben Spanisch als zweite Amtssprache. Gleichzeitig schreibt die Verfassung aber die Unauflöslichkeit der spanischen Nation fest. Aufgrund ihrer Historie fordern heute einige Regionen (eigentlich hauptsächlich das Baskenland) völlige Eigenständigkeit. Soweit geht man in Katalonien nicht, aber die intensive Förderung der eigenen regionalen Kultur wird mittlerweile zum Problem, denn an Bildungseinrichtungen wird zum Teil gar kein Spanisch (Kastilisch) mehr gesprochen. Über Einzelschicksale liest man in diesem Zusammenhang häufig in den spanischen Zeitungen. Es mag durchaus eine "nationalistische" Tendenz in den Regionen geben, grundsätzlich kann die Hervorhebung der eigenen Kultur aber nicht als rechte Gesinnung bezeichnet werden, ganz besonders nicht vor diesem historischen Hintergrund.

Hunold ist mit seinem Artikel in ein böses Fettnäpfchen getreten. Hätte er ein bisschen Verständnis für die "spanische" Kultur (im Sinne der Kulturenvielfalt) aufgebracht, hätte er erkannt, dass er mit seinem Artikel ein ganz empfindliches Thema berührt. Dass Deutsche die Bestrebungen der balearischen Regierung erst einmal ablehnen, liegt daran, dass wir aufgrund unser eigenen Historie ganz anders denken. Um den spanischen Regionalismus zu verstehen, muss man sich erst mit seinen Hintergründen auseinandersetzen. Egal, ob man letzten Endes zu dem Schluss kommt, dass die Autonomiebestrebungen unterstützenswert sind oder nicht, in jedem Fall darf man die katalanische Kultur nicht einfach so beleidigen, sondern sollte ihr den gebührenden Respekt zollen.

Veröffentlicht in Spanische Kultur

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Hallo Jessi, wie schön über diesen Weg eine Menge über deinen Aufenthalt in Spanien zu erfahren. Werde mich demnächst öfter auf dieser Seite bewegen. Hoffe es geht dir gut und wir bleiben in Kontakt. Liebe Grüße von Paula
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